Rukz

Samstag, 15. September 2007
Er fällt
Wie so oft stand er nach dem Ende eines viel zu verkopften Film auf dem Wohnzimmertisch, er läuft darauf auf und ab. Er denkt. Die Geschehnisse des Films, die Melodie seines Kopfs, seine Hoffnungen, Sorgen, Probleme und Wünsche verbinden sich zu einer riesigen Masse. Einen edlen Sud, den er sich gerne zusammenspinnt und plötzlich, er merkt es erst als schon alles vorbei ist. Er liegt am Boden, sein Kopf schmerzt. Er schaut sich um, alles wirkt so befremdlich, so neu. Er nimmt eine Stimmung im Raum wahr, sie ist bedrohlich schön. Wie konnte sich alles so schnell ändern? Er steht auf, fühlt sich wohl im einen und verängstigt im anderen Moment. Er sucht nach Hilfe, jemanden zum sprechen, der Raum ist zu groß, die Tür unerreichbar. Er ist hilflos, verwirrt und allein. Er steht mitten im Raum dreht sich langsam, schaut, weint, kniet sich hin und liegt schließlich auf dem Boden. Er glaubt sein Kopf platzt gleich, er schließt die Augen, wünscht sich zurück. Er macht die Augen wieder auf und nichts hat sich verändert, er liegt da immer noch. Er spürt sein Herz, es rast. Er versucht die Ruhe zu bewahren, klar zu werden. Er zittert, streicht sich über sein Gesicht. Er weiß nichts. Wie konnte ihm das nur passieren, er kann es sich selbst nicht erklären. Er steht auf, geht ein Stück, bleibt stehen. Plötzlich sieht er jemanden in der Ferne. Er geht näher ran und erkennt es ist ein kleiner Junge. Der Junge ist nackt und sitzt Beine angewinkelt mit dem Armen um seinen Knien am Boden und weint. Er geht zu ihm, fragt was los ist, kriegt keine Antwort. Er zieht seinen Pullover aus und streift ihn über den Jungen. Er setzt sich neben ihn, blickt ihn an und beginnt zu reden:
„Wir sind wir beide nur hierher gekommen? Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sage, aber ich bin ein Versager. Ich mache den Leuten etwas vor, tue so als wäre ich intelligent, gewieft, belesen und clever. Stelle mich gerne auf das Hohe Ross, das ich in meinen Träumen immer zusammen baue. Ich arbeite als Personalchef in einer großen Firma, musst du wissen, ich werde dafür bezahlt Menschen zu bewerten, ob sie zu uns passen, ob sie den Job gut können würden. Ich entscheide über die Zukunft dieser Menschen, spiele Schicksal. Dabei ist jeder dieser Menschen, wie sie tag täglich vor mir sitzen, tausendmal mehr wert als ich. Ich sitze in meinen Ledersessel und fühle mich sicher, dabei habe ich nur Angst. Ich fürchte mich davor, dass plötzlich einer vor mir sitzt und mich durchschaut, sieht dass da nichts Großes ist. Dass einer von denen auf einmal zu mir kommt und sagt sie erfüllen die Kriterien, die sie ansetzen selbst nicht.
Als ich klein war, hat mich meine Mutter immer umsorgt, wenn ich krank war. Heute bin ich nicht mehr krank. Ich überspiele es, mime den Starken, bloß keinen Fehler zugeben, bloß keine Schwächen zeigen. Als ich jung war habe ich mal bei einer Frau keinen hochgekriegt, ich weiß sowas sollte man einen kleinen Jungen nicht erzählen, aber ich glaube ihr wisst heut zu Tage eh schon so gut wie alles, ich habe ihr die Schuld gegeben, habe mich von ihr getrennt, habe mir eingebildet es wäre Stress oder irgendwelche Umstände und in Wirklichkeit hatte ich nur Angst. Das habe ich erst spät verstanden. Diese Frau hatte mich so überwältigt, dass nur noch ein kleiner Schritt gefällt hätte, bis sie erkannt hätte, mit was für einen Hochstapler sie es hier zu tun hat.
Meine Frau heute liebe ich nicht, jedoch sie erzieht unsere perfekten Kinder gut, bläst mir einen, wenn mir danach ist und wischt den Boden.
Du sieht mein Problem? Angst ja, die Angst. Wie würde es wohl sein wenn ich sie überwinden könnte? Ich wäre meinen Job los, meine Frau, meine Kinder. Ich würde am Boden liegen hilflos und allein und jeder würde mich sehen. Ich würde ein neues Leben beginnen müssen. Müsste endlich ehrlich zu mir selbst sein.“
Er öffnet die Augen und im Fernseher läuft noch der Abspann des Filmes. Seine Frau eilt herbei, denn sie hat es scheppern hören.

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